Donnerstag, 24. März 2011

Erfahrungsbericht vom Braveheartbattle 2011

"Schmerz ist Schwäche die den Körper verläßt" – dieser Spruch steht auf dem T- Shirt meines Hintermannes am Start des Braveheartbattle 2011. Der Spruch  brennt sich ein, motiviert und verängstigt mich zugleich. Bin ich der Strecke  gewachsen? War es richtig, sich überhaupt so einen Event als ersten  Laufwettbewerb auszusuchen? Habe ich ausreichend trainiert? Solche und  ähnliche Fragen gehen mir während der Wartezeit auf den Startschuss durch  den Kopf. Doch jetzt ist es zu spät für Bedenken, ich stehe in der ersten Reihe  der zweiten Startwelle, die Läufer der ersten Startgruppe sind längst weg – vor  mir freie Sicht auf die ersten Hindernisse. Der Rennleiter hebt den Arm für den  Startschuss. Die Bedenken verfliegen fast augenblicklich und die Zuversicht  gewinnt wieder. Freude kommt auf. 3, 2, 1 - Peng! Ich laufe los und alles was ich weiß ist, dass vor mir jetzt rund 20km Laufstrecke mit 40 Hindernisse liegen. Und ich freue mich jetzt auf jedes einzelne davon... 


Es ist schon interessant was einem der Kopf alles für Stückchen spielen kann, speziell wenn man sich nicht unter  Kontrolle hat. Einige dieser Gedankenspiele kenne ich schon aus dem Training. Tempointervalle und lange Läufe an den kalten Sonntagmorgen bergen genug Potential für solche Gedankenspiele. Doch welche Macht der Kopf wirklich hat, weiß ich spätestens seit diesem Lauf!

Schon während der dreieinhalbstündigen Anreise und dem Frühstück in Münnerstadt geht mir allerhand sinnloses durch den Kopf. Hin- und hergerissen zwischen dem Unbekannten was vor mir liegt und der im Training gewonnen Zuversicht. Immerhin habe ich monatelang auf diesen Tag hingearbeitet, abgespeckt, meine Frau mit dieser fixen Idee genervt. All die Trainingskilometer, das wöchentliche Eisbad im winterlichen Bodensee, das muss sich doch ausbezahlt haben. Aber ich denke, das ist normal. Vor allem, wenn man so unerfahren ist wie ich. Wie schon gesagt, mein erster Laufwettbewerb überhaupt – und dann gleich sowas.
Erfahrenere Mitläufer erzählen mir vor dem  Start, dass dies wohl der härteste Hindernislauf Deutschlands sein soll. Na, das stimmt doch gleich noch zuversichtlicher. Es hat zwar Kaiserwetter und Temperaturen von knapp 15°C, aber das Wasser ist kalt, die Strecke lang und deren Hindernisse viel... Immerhin, wenn ich diesen Lauf finishe, können mich Strongmanrun und Co. auch nicht  mehr schocken. Diese Erkenntnis zaubert wieder ein Lächeln auf mein Gesicht.

Die ersten Hindernisse in der Münnerstadt-Arena ziehen wie im Flug an mir  vorbei. Typischer Anfängerfehler, ich war viel zu schnell. Die Pacingtaktik hatte ich schon nach den ersten 100m über den Haufen geworfen. Kaum biege ich  aus der Arena auf die eigentliche Strecke piepst schon meine Pulsuhr - viel zu  hoch. Wider besseren Wissens verlangsamte ich aber nur unmerklich. Das Gefühl ist einfach zu gut für ein langsames Tempo. Dieser Fehler sollte mir am Ende vom Rennen noch teuer zu stehen kommen.

Das nächste Hindernis kommt in Sicht - der "Killing Hill". Eine sehr steile Böschung, ich bin nur froh,  dass es trocken ist, sonst wäre dieser Hügel die reinste Rutschpartie. Am  unteren Ende der Böschung kommt eine Fernsehkamera in Sicht. In aller Mediengeilheit reiße ich die Hände in die Luft, beschleunige und stolpere ... vor der Kamera, natürlich, wo denn sonst. Zum Glück ist nichts weiter passiert. Schon geht es zum ersten Wasserhindernis. Eigentlich sollte man sich ja darüber hangeln. Aufgrund meines Gewichts weiß ich aber, dass der Versuch zum Scheitern verurteilt ist und springe gleich ins Wasser. Ob ich jetzt oder erst später nass werde ist egal.

Der Lauf geht anschließend an der Lauer entlang weiter in Richtung Stadtmitte. Schon von weitem höre ich die Rufe vom Publikum. Da scheint  richtig was los zu sein und tatsächlich, auf rund 200m Länge sind mehrere größere Hindernisse aufgebaut. Zuerst wieder durch die Lauer, dann das erste Kriechhindernis und weiter zur "Dünisch Wall" einer rund 6m hohen Wand aus Strohballen. Vor den Fans, speziell den eigenen, mitangereisten will man natürlich glänzen, und ich ziehe das Tempo wieder an. Dass meine Pulsuhr jetzt schon seit rund 20 Minuten durchgehend piepst, stört mich schon gar nicht mehr. Ich bin aber auch zu faul um den Alarm abzustellen. Ich könnte ihn ja noch brauchen.

Wieder geht es der Lauer entlang bis zum nächsten Wasserhindernis. Eine Seilbrücke, sehr wackelig aber gut umgesetzt. Direkt im Anschluss steht ein Tieflader voll mit Baumstämmen, natürlich oben drüber. Vom vielen Wasser und Schlamm meiner Vordermänner sind die Bäume entsprechend rutschig. Aber ein echtes Braveheart kommt damit klar. Inzwischen habe ich zwar einen schönen Fluss beim Laufen, merke aber die Folgen meines zu hohes Anfangstempo. Ich frage ich mich nun auch, wer an dem Lauf mehr Spaß hat. Die sich im Schlamm suhlenden Läufer oder das Publikum, dass anfeuernd an der Strecke steht.

Was ich an dieser Stelle aber sagen muss, ist, dass die Stimmung hervorragend ist. Sowohl unter den Teilnehmern als auch beim Publikum. Da wird angespornt und immer wieder entstehen nette, wenn auch kurze Gespräche mit den  anderen Teilnehmern. Der Lauf ist ja auch nicht zum plaudern da. Aber hier ist  wirklich mehr das Miteinander angesagt. Das merke ich spätestens beim nachfolgenden Hindernis.
Nach einem großen Haufen Reifen der überklettert  werden will, kommen Tunnel aus zusammen gebundenen LKW-Reifen. Da muss man natürlich auch durch. Ich mit meiner Größe und entsprechend breiten Schultern tue mich da natürlich besonders leicht. Aber zum Glück sind da ja noch  die Anderen. Kurzerhand werden meine Handgelenke gepackt und ich aus dem Reifentunnel herausgezogen. Blaue Flecken, Schürfungen - egal. Ein kurzes Danke und weiter geht's.

Die Strecke folgt über rund 1,5km einer Teerstraße bis zum Eingang des INOV-8 Valleys, dazwischen die zweite Verpflegungsstation. Es gibt verdünntes Apfelmus mit Traubenzucker und Wasser. Die Idee mit dem Apfelmus ist richtig gut, schmeckt und wirkt. Immer wieder bin ich auch versucht, mich dem Tempo der mich überholenden Läufer anzuschließen. Inzwischen habe ich aber gelernt dass das nix bringt und meinen Frieden damit  geschlossen, dass ich überholt werde. Wie schreibt Achim Achilles schon so schön: "Schnell kann jeder..."

Das INOV-8 Valley ist ein Bachlauf, dem auf einer Länge von rund 2,5km gefolgt wird. Richtig sympathischer Trailrun. Mal geht´s  links die Böschung hoch, dann wieder rechts, zwischendurch wieder durch den Bach. Richtig nett. Inzwischen habe ich es auch aufgegeben, mir den Dreck aus den Schuhen zu puhlen. Kommt eh alle paar Meter wieder neuer rein. Ich finde auch keinen Halt mehr in meinen Schuhen. Alles Schlamm, alles Dreck. Das Valley geht langsam zu Ende und ich höre schon die Rufe: "Arsch runter, Arsch runter..." Was kommt jetzt?

Soweit ich den Plan im Kopf habe, heißt das nächste Hindernis "Iron Curtain". Als ich den Weidezaun sehe und diverse Flüche höre ist mir alles klar. Kriechen und das möglichst tief - der Zaun steht unter Strom. Schön, vor allem leitet man nass so richtig gut. Die nächsten zwei Kilometer gestalten sich eher ruhig. Durch die „Gabold-Feuer“ geht es Richtung „Loch Ness“, Michelsberg, etc. Das sollte noch genug Kraft kosten. Inzwischen kommen mir auch schon die ersten Läufer auf dem Rückweg entgegen ...

Man sind die schnell, ich schätze mal, dass die rund 1:40 Stunden brauchen werden. Aber Zeit ist laut Einstein relativ und spielt für mich hier sowieso keine Rolle. Nur ankommen und das am besten auf eigenen Beinen und nicht im Krankenwagen. Schon von der dritten Verpflegungsstation aus höre ich das Publikum von „Loch Ness“. Da unten muß aber richtig was los sein. „Loch Ness“ ist laut Beschreibung ein Regenrückhaltebecken. Ich komme hin und sehe nur braunes Wasser.

Auf  dem Wasser schwimmt eine Holzpalette mit der Aufschrift "tauchen". Mehr Info brauche ich nicht. Ab ins Wasser, kurz Luft holen und unter der Palette durch.  Auf der anderen Seite wieder die glitschige Böschung rauf. Das Publikum  applaudiert und feuert mich und die anderen Läufer an, geile Stimmung, das  baut auf. 10m weiter die Böschung runterrutschen und wieder ab ins Wasser. Die Brühe reicht zwar nur bis zu Hüfte, ich merke aber schnell, dass der Boden extrem weich ist und nachgibt. Fast hätte ich meine Schuhe in dem stinkenden Morast verloren, da hilft nur schwimmen.

Das Wasser stinkt zwar gewaltig, aber lieber ist mir, ich verschlucke mich an der Drecksbrühe als dass ich die 10km zurück ins Ziel barfuß laufen muss. Das  Publikum bedankt sich mit tosendem Applaus und Jubel für die Schwimmeinlage. Meine Schwimmtrainerin hätte bei  diesem Anblick ihre Freude mit mir. Am Ende des Rückhaltebeckens geht´s wieder die Böschung hinauf. Sichtlich  entkräftet hilft man sich gegenseitig, so soll's sein!

Auf das kalte Wasser an sich habe ich mich vorbereitet. Auf was ich aber nicht gefasst war ist, wie langsam die Muskulatur nach einem Bad im kalten Wasser wird. Die nachfolgenden 200m waren nur mit purer Willenskraft möglich und spätestens seit jetzt waren entlang der Strecke diverse „Laufleichen“ zu  sehen. Aber auch mein Körper war inzwischen der Meinung, dass hinsitzen und ein Bad in der Frühlingssonne die  bessere Alternative wären. But failure is not an option! Aufwärmen kann man eben auch anders. Das dachten sich wohl auch die Veranstalter führen die Strecke in gerader Linie rauf zum Michelsberg. Wie viele Höhenmeter es sind weiß ich nicht. Aber es fühlt sich verdammt hoch an und vor allem auch steil...
Immerhin mir ist wieder warm. Heißt ja nicht umsonst "Extreme Outdoor Steigung". Oben auf dem Berg dann wieder Kriech- und Balancierhindernisse. Wirklich „nett“ gemacht alles zusammen. Wobei ich mir das erst jetzt im Nachhinein denke...

Denn während des Wettkampfs waren meine Gedanken ganz woanders. Die schwankten irgendwie zwischen kühlem Siegerbier und den Blasen an meinen Füßen. Ein Braveheart jammert nicht! Also auf der anderen Seite wieder vom  Michelsberg runter und kaum aus dem Wald raus, konnte man schon quer durch das Tal in rund 10km Entfernung den „Killing Hill“ sehen. Das Ziel und Ende der Strapazen ist sichtbar! Von da an wusste ich dass es gut wird... Halbzeit ist durch! Das Schwierigste ist überstanden und ich – ich laufe immer  noch!

Überwältigt von dieser Erkenntnis habe ich wohl die zweite Luft  bekommen und das Tempo wieder angezogen. Den ganzen Weg wieder retour durch die „Gabold-Feuer“, „Iron-Curtain“, „INOV-8 Valley“, etc. Und endlich konnte ich auch die ganzen anderen Läufer sehen. Wenn ich an all die  Kostüme denke, erinnert mich das mehr an einen Rosenmontagszug als an einen Extremhindernislauf. Die Kilometer zogen ins Land, der Killing Hill kam immer näher und damit wurden auch die Beine immer schwerer. Ab Kilometer 14 musste ich dann immer wieder Gehpausen einlegen – der Tribut meines zu hohen Anfangstempos.

Aber keine Illusion, man läuft diesen Lauf nicht alleine! Die anderen Läufer und auch das Publikum bauen einen immer wieder auf. Speziell dann, wenn bei den Hindernissen die eigenen Lieben auf einen warten. Das motiviert ungemein. Man will sich ja auch keine Blöße geben. Krampf hin oder her. Das spielt in so einem Moment keine Rolle. Kaum hat man die Lieben aber hinter  sich gelassen und ist wieder auf sich alleine gestellt, kommen auch die Krämpfe wieder zurück. Inzwischen schreiben wir Kilometer 17. Beide Waden verkrampfen sich im Rhythmus meiner Schritte und der „Killing Hill“ ist zum Greifen nah. Steine in den Schuhen, Blasen an den Zehen, Krämpfe in den Waden und ein voller Magen vom vielen Apfelmus – alles jammern nützt aber nichts: Wer sich Braveheart nennen will, muss das ausstehen.

Mein Mantra singend, laufe ich immer weiter Richtung „Killing Hill“. Die Bedeutung „Killing Hill“ wurde mir schlagartig klar, als ich die Steigung wieder rauf  musste. Oben angekommen spürte ich weder die Krämpfe, noch die Blasen, noch sonst was - Nur pure Euphorie über das nahende Ziel. Nur mehr ein paar hundert Meter. Nochmals richtig auf die Tube drücken und dann den Erfolg  genießen. Ich konnte schon das Siegerbier vor Augen sehen. Die letzte Gerade vor der Arena. Noch eine Kurve...

Einlauf in die Arena! Nur noch 100 Meter bis zum Ziel. Voller Euphorie über das letzte Hindernis springen und dann – wieder ein Krampf! Die ganze Rückseite  meines linken Schenkels – ein einziger Krampf. Gibt's doch gar nicht. Aber stehen bleiben und dehnen ist nicht. Nicht vor den ganzen Kameras, den Fernseheteams und dem Publikum. Nochmals beißen und durch. Kaum im Ziel wird mir die wohlverdiente „Medal of Honor“ umgehängt und meine Lieben warten.

Voller Erleichterung falle ich zehn Meter nach dem Ziel auf die Tartanbahn und bleibe liegen… Eine nette Helferin sagt noch: “Das Sauerstoffzelt ist da hinten...” Das nenne ich echte Worte des Triumphs. Anstelle des Sauerstoffzelt hole ich  mir ein alkoholfreies Siegerbier und lasse mich von meinen Emotionen tragen. Ich bin jetzt ein Finisher! Ich darf mich jetzt ein “Braveheart” nennen. Zwei Jahre Vorbereitung, Aufbau, Diät, Rückschläge,  wieder aufstehen und weitermachen – alles für diesen Moment.

Für viele Mitläufer war dieser Lauf sicher mehr ein  Trainingslauf als eine richtige Herausforderung. Für mich aber war dieser Lauf die Bestätigung der letzten Jahre. Ich habe zwar immer noch Schmerzen, aber hey – when the pain goes away, the glory stays! Liebes Team vom Braveheartbattle, liebes Publikum und natürlich alle anderen Bravehearts und Braveheartys – danke für dieses unvergessliche Erlebnis. Es war mir ein Volksfest! Wer weiß, vielleicht sieht man sich wieder - und das schon bald. In ein paar Wochen Wochen beim Strongmanrun am Nürburgring.